Blog Details

  • Home
  • SVI Jahrestagung 2024 «Anforderungen an die Verpackung der Zukunft»
SVI 21. September 2024 0 Comments

Tagungsbericht

SVI Jahrestagung 2024 «Anforderungen an die Verpackung der Zukunft»

PPWR sorgt weiter für grosse Verunsicherung – KI kann auch in der Verpackungsindustrie eingesetzt werden

Olten, 20. September 2024. Verpackungen unterstehen einem nie dagewesenen Wandel. Packstoffe, Darreichungsformen und Regulative ändern sich stetig. Die Verpackungsbranche steht vor grossen Herausforderungen, auch in Bezug auf einen regulatorischen Tsunami, ausgehend vom In- und Ausland. Die Herausforderungen bei der Kreislaufwirtschaft, ökologische Materialien und Prozesse stehen im Fokus. Was fordert die Politik, der gesellschaftliche- und technologische Wandel und was sind die Herausforderungen in der Digitalisierung und beim Konsumentenverhalten? Darauf gab die sechste Jahrestagung des Schweizerischen Verpackungsinstituts SVI am 17. September 2024 in Olten anlässlich des Jahrestreffs der Branche Antworten für die gesamten Breite der Verpackungswirtschaft.

SVI Geschäftsführer Andreas Zopfi und Tagungsleiterin Dr. Karola Krell-Zbinden von der Food Lex AG begrüssten die Teilnehmer. «Die neue europäische Verpackungsverordnung PPWR wird auch in die Schweiz kommen, vielleicht später, aber ganz sicher», sagte Krell Zbinden. Dabei sei es die Aufgabe des Schweizer Gesetzgebers, das EU-Recht abzuschreiben und gegebenenfalls ein wenig anzupassen, denn EU-Recht gilt natürlich in der Schweiz nicht direkt. Die Verantwortung für die Verpackungsindustrie ergibt sich in der Schweiz grösstenteils aus dem Bedarfsgegenständerecht. Dabei sind mit dem BAG und Bafu zwei Bundesämter involviert. Generell ist die Abfallwirtschaft aber kantonal geregelt, was ein Problem für die Industrie bei der Implementierung einer nationalen Sammlung darstellt. Zudem gibt es bei der Sammlung und Mülltrennung durch die Bevölkerung erhebliche regionale Mentalitätsunterschiede.

Eine erste Einordnung der Auswirkungen der europäischen PPWR auf die Schweizer Verpackungsindustrie gab Dr. Jan Hendrik Kempkes, Head of Legal and Regulatory Affairs der deutschen Interzero Recycling Alliance GmbH. Über den noch vor der Neuwahl des EU-Parlaments im Juni 2024 verabschiedeten Entwurf soll das Parlament voraussichtlich am 13./14. November 2024 endgültig abstimmen und die Inkraftsetzung ist im Januar/Februar 2025 vorgesehen. Da die PPWR eine Verordnung ist (und keine Richtlinie) gilt sie unmittelbar und muss nicht erst noch in nationales Recht umgesetzt werden. Kempkes sieht die PPWR als eine chaotische Regelung aufgrund zahlloser Rechtsakte und Definitionen. Man muss sich sehr tief einarbeiten, zudem auch hohe Bussgelder bei Verstössen drohen. Wichtig für Schweizer Unternehmen ist die Unterscheidung und Selbsteinstufung zwischen Erzeuger- und Herstellerpflichten. Zu den Erzeugerpflichten gehören unter anderem: Konformitätsbewertungsverfahren und technische Dokumentation; Anforderungen von Stoffen in Verpackungen; Design für Recycling (in Stufen beginnend 2030, alle Verpackungen müssen recyclingfähig sein); Mindestrezyklatanteile in Kunststoffverpackungen ab 2030; Minimierung von Verpackungen ab 2030; Gesundheitsschutz und Produktschutz bei wiederverwendbaren Verpackungen nachweisen; Kennzeichnung von Verpackungen europaweit durch einheitliche Piktogramme; Ernennung von Bevollmächtigten (Sprachrohr zur Behörde mit Sitz in EU). Zu den Herstellerpflichten gehören unter anderem: die klassische erweiterte Herstellerverantwortung wie bisher; neues Herstellerregister und neue Meldepflichten; Ernennung von Bevollmächtigten in jedem Land, in welches man liefert; Verbot bestimmter Werbeaussagen auf Verpackungen; Verbote bestimmter Verpackungsformate.

Als erstes von drei Referaten zu Primärverpackungen sprach Dr. Martin Engelmann, Generaldirektor der deutschen IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen über «Neue Regeln zum Rezyklateinsatz in Lebensmittelverpackungen». Er berichtete zunächst aus der Entstehung und Diskussion während der Ausarbeitung der PPWR zum Thema Rezyklateinsatz bezüglich Verfügbarkeit und Sicherheitsbedenken für die menschliche Gesundheit. In Europa ist man beim Einsatz von Rezyklaten übervorsichtig, in den USA wird dies grosszügiger gehandhabt. Die Frage sei, ob es bis 2030 genügend Kapazitäten gebe, um die Mindestquote in Höhe von 35 Prozent zum Rezyklateinsatz in Lebensmittelverpackungen für jeden Kunststoffanteil gemäss Artikel 7 der PPWR zu erreichen? Es gibt zwar Investitionen in Sammlung und Rezyklierung, aber zu wenig und der Aufbau dieser Supply chain dauert zu lange. Die Quote für Polyolefine (PP und PE) sei nur zu erreichen, wenn das Recycling in Europa bis 2030 verfünffacht wird, was kaum möglich ist. Gegen diese Kunststoff-diskriminierende Regelung beim Rezyklateinsatz soll insofern vor den EU-Gerichten geklagt werden. Zwar erlaubt die PPWR gewisse «Notfallwege», aber dies ist alles mit einem grossen Fragezeichen versehen. Engelmann sieht es auch als eine Fehlentscheidung der EU, dass man beim Rezyklateinsatz gleich mit Lebensmittelverpackungen beginnt, statt mit unkritischen Non-Food-Verpackungen. Zudem gebe die Verordnung 2022/1616 über Materialien und Gegenstände aus recyceltem Kunststoff keine europaweite Rechts- und Planungssicherheit. Seit 11. Juli 2023 dürfen nur Rezyklate, die mittels einer «geeigneten» Recycling-Technologie hergestellt wurden, in Verkehr gebracht werden mit Ausnahmen für «neuartige» Recyclingtechnologien. Beides sind sehr unkonkrete Formulierungen.

«Vom unerwünschten Plastik zum Rohstoff» berichtete Markus Tonner, Geschäftsführer der InnoRecycling AG mit Sitz in Eschlikon TG. Aus der Praxis eines Kunststoff-Entsorgungsdienstleisters hat Tonner ein «Flaues Gefühl» beim Blick in die Zukunft angesichts der Anforderungen. Damit aus unerwünschtem Plastik ein Rohstoff wird, sieht er sechs Faktoren, die erfüllt sein müssen: sensibilisierte Konsumenten, eine Branche mit klaren Zielen, optimierte gesetzliche Rahmenbedingungen, genügend Nachfrage aus dem Markt, die technologische Machbarkeit und verbesserte ökonomische und ökologische Gegebenheiten. Gemäss einer Erhebung von 2022 zur Zusammensetzung des Inhalts eines Kehrichtsacks gibt es in der Schweiz ein Potenzial von rund 180.000 Tonnen Kunststoff pro Jahr. Aber wo steht die Branche heute? Trotz einiger Leuchtturmprojekte bei PET, HDPE, PS und PP ist das Design für Recycling ist derzeit noch völlig ungenügend. Obwohl der Verband Schweizer Plastic Recycler eine Industrierückführungsquote von 55 Prozent ab 2025 anstrebt und RecyPac bis 2030 eine Sammelquote von 55 Prozent erreichen will, sieht er derzeit ein mangelndes Bekenntnis zur echten Kreislaufwirtschaft. Politik und Wirtschaft in der Schweiz verhalten sich abwartend, die EU gibt den Takt vor. Bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen sei noch unklar, wie es mit dem Entsorgungsmonopol weitergeht. Zwar wünschen sich die Konsumenten rezyklierte Verpackungen, doch die Angebote im Regal des Handels sind noch sehr dünn. Dabei ist die Technologie für vollautomatisierte Sortieranlagen weit fortgeschritten und ermöglicht eine hohe Reinheit für bis zu 18 Sorten. Tonners Fazit ist ernüchternd: «Kunststoff ist in der Schweizer Entsorgungswirtschaft heute in erster Linie ein beliebter Brennstoff. Es bleibt noch viel zu tun, damit aus Brennstoff endlich kreislauffähiger Rohstoff wird.»

Erich Jaquemar, Key Account Manager bei der Vetropack Austria GmbH, referierte über Einweg- versus Mehrweg-Glas. Grundsätzlich ist Glas zu 100 Prozent rezyklierbar und grundsätzlich unterstützen praktisch alle Konsumenten das Recycling, aber nicht jeder recycelt wirklich. Vetropack Austria hat sich mit den Voraussetzungen für die Einführung von Mehrwegsystemen beschäftigt und sieht in Österreich gute Rahmenbedingungen. Generell lässt sich mit Mehrwegglas bei sinnvollen Systemen bis zu 70 Prozent CO2 einsparen. Zur Förderung der Abfallvermeidung zwingt der Staat Österreich den Handel zu verbindlichen Angeboten von Mehrweggebinden für Getränke: Für Bier, Wässer, Softdrinks, Fruchtsaft und Milch ist eine generelle Mehrwegquote von 25 Prozent ab 2025 und 30 Prozent ab 2030 vorgeschrieben. Österreich führt daher ein Pfandsystem für PET-Flaschen und Dosen ab dem 1. Januar 2025 mit 20 Cent pro Flasche ein. In der Praxis dürfte dies für die meisten Getränkeabfüller in Österreich bedeuten, dass sie auf Standardgebinde zurückgreifen müssen. Dafür gibt es Arbeitsgruppen für verschiedene Getränke (Bier, Wasser, AFG, Wein) und Gebindegrössen. Zudem muss über den gesamten Lebenszyklus auch die gesamte Logistik bezüglich Transport, Rückgabeautomaten und Poolmanagement angepasst werden. Die neuen Mehrweg-Flaschen müssen richtig konzipiert werden, um auch verschiedene Getränke einfüllen zu können, ebenso die Kisten. Dazu gibt es gesetzliche Vorgaben für die Mindestwanddicken für Glasflaschen sowie eine eigene MW-Kennzeichnung, ein eigenes Logo sowie eigene Kisten (auch Splitboxen). Vetropack hat dazu, auch aus politischen Anforderungen, eine thermisch gehärtete Kleinflasche auf den Markt gebracht.

Über den Beitrag der Faltschachtel zum Übergang zur Kreislaufwirtschaft referierte Winfried Mühling, General Manager von Pro Carton mit Hauptsitz in Zürich. Er blickte zunächst zurück in das Jahr 2018, als die globale Initiative ambitionierte Zielsetzungen unter dem Stichwort «Pledge 2025» ausgab, wozu beispielsweise der Einsatz von 100 Prozent wiederverwendbaren, recycelbaren oder kompostierbaren Verpackungen gehörte. Doch die Komplexität wurde unterschätzt und seit dem Frühjahr 2024 haben einige globale Konsumgüterunternehmen wie Unilever, Pepsi oder Colgate ihre Zielsetzungen kassieren müssen und dazu auch öffentliche statements abgegeben. Dabei wurde das Ziel teilweise auf 2030 verschoben, was aber ebenfalls unrealistisch erscheint, angesichts einer Gesamt-Recyclingquote von zuletzt rund 64,5 Prozent (2022). Die Haupthindernisse seien die Komplexität flexibler Verpackungen, fehlende Anreize zur Sammlung und eine fehlende Infrastruktur. Bei Kunststoffverpackungen läge die Recyclingquote zuletzt bei 11,7 Prozent (2022) und könnte bis 2025 maximal 17 Prozent erreichen. Das Ziel der Industrie war aber 26 Prozent. Auch der Einsatz von Kunststoff-Neuware sinkt nicht wirklich und das Reduktionsziel wird deutlich verfehlt, stellte Mühling fest. Dennoch sieht er das Pledge 2025 nicht als gescheitert an, da es das Problembewusstsein geschärft habe. Im Kartonbereich werde die Kreislaufwirtschaft seit Jahrzehnten praktiziert mit einer Recyclingrate von 82 Prozent in der EU und sogar 85 Prozent in der Schweiz und in Deutschland. Die Schweiz sei ein Musterbeispiel für die Separatsammlung der Fraktionen Papier und Karton und die Konsumenten vertrauen der Sammlung. Kartonverpackungen seien in vielen Formaten möglich und dringen auch immer mehr in den Food-Bereich vor, schloss Mühling.

Möglichkeiten und Praxisbeispiele der generativen KI im Industrieumfeld stellten Dr. Alan Ettlin, COO, und Daniel Höfliger, Head of Industry/Energy der BBV Software Services AG mit Sitz in Luzern vor. Sie berichteten aus der Praxis und über die technische Basis der Funktionsweise von künstlicher Intelligenz (KI) im industriellen Umfeld. «Generative KI ist eine Form der künstlichen Intelligenz, die darauf trainiert ist, Inhalte wie Texte, Bilder, Videos oder Musik selbstständig zu erzeugen, indem sie aus grossen Datenmengen lernt und Muster erkennt.» Dabei werden Sprachmodelle durch überwachtes Lernen «trainiert», um immer wieder das nächste Wort vorherzusagen respektive um für alle bekannten Wörter eine Wahrscheinlichkeit anzugeben. Gemäss dem Swiss AI Impact Report 2024 benutzen rund 72 Prozent der Schweizer Unternehmen generative KI. Nur 30 Prozent haben dabei KI-Richtlinien festgelegt, was die Referenten als ein Risiko für die Unternehmensdaten ansehen. Generell eignet sich die Technologie für ein Wissensmanagement mit KI-Agenten. Das Unternehmen bietet vorkonfigurierte und massgeschneiderte KI-Agenten zur Unterstützung der Mitarbeitenden und der intuitiven kombinierten Nutzung firmeninterner und -externer Daten. KI-Agenten können als spezialisierte Assistenten verstanden werden, die Mitarbeitende in ihrer Rolle bei der Erledigung ihrer Aufgaben gezielt unterstützen. Sie nutzen künstliche Intelligenz, um Menschen bei Aufgaben zu unterstützen oder Aufgaben autonom zu erledigen.

Antonios Smyrnaios von der deutschen eology GmbH berichtete über KI-basierte Texterstellung im E-Commerce und stellte die Frage, ob daraus Vorteile für die B2B-Verpackungsbranche zu ziehen wären. Er gab zunächst einen Überblick über aktuelle E-Commerce Trends und generative KI im B2B E-Commerce. Für die Verpackungswirtschaft dürften dabei KI-gestützte Upselling- und Cross-Selling-Methoden, Fokus auf Nachhaltigkeit und personalisiertes Marketing und Produkte im Vordergrund stehen. Wie man von Suchmaschinen gefunden wird, hängt dabei stark von Suchmaschinen-optimierten Texten (SEO) auf den Webseiten der Online-Shops ab. Hier lässt sich KI einsetzen: 64 Prozent der Unternehmenglauben, dass sie dank KI ihre Produktivität steigern können, 59 Prozent der Unternehmen denken, dass sie damit Kosten sparen und 42 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, durch KI Prozesse optimieren zu können. Bei der Texterstellung steht dabei momentan ChatGPT im Fokus. In einem Anwendungstest, Inhalte für die Aufgabe «Transaktionaler und informationaler Kategorietext über die Produktkategorie Faltkartons» zu erstellen, schaffte es GPT-4.0 nicht, alle Anweisungen korrekt umzusetzen. Menschliche Texte sind nach wie vor sehr viel näher am Produktsortiment und können konkrete Produktempfehlungen benennen. Der GPT-4.0 Text verwendet nur die durch die Keywords zur Verfügung gestellten Informationen und kann keine Beratung erbringen. Fazit: Die Keywordoptimierung und SEO-Lesbarkeit sind schlechter als bei einem menschlichen Text. Dadurch ist das Ranking-Potential von KI-Texten ohne manuelle Nachprüfung geringer als bei Texten von SEO-Redakteuren. KI-Texte haben meist ein solides Grundgerüst, sind inhaltlich und sprachlich brauchbar. Es fehlt ihnen jedoch die Einzigartigkeit, ähnliche Texte findet man zuhauf im Netz. An Texten, die sehr beratend sein sollen, scheitert die KI teils selbst mit Zugang zur Internetrecherche. Das Gleiche gilt für Shop-Texte, die sehr stark auf das Sortiment ausgerichtet sein sollen. Smyrnaios Fazit lautete: «Ein KI-Tool ist am Ende des Tages eben ein Werkzeug. Die Qualität der Arbeit hängt davon ab, wie man es einsetzt. In den Händen einer Person, die weiss, was die KI kann und was (noch) nicht, zeigt sie auch ihr grösstes Potenzial. Somit ist KI eine Stütze und schafft ein solides Fundament, auf dem der Mensch qualitativen Output schaffen kann.»

 

 

X