Greenwashing – Die grüne Absolution
Dirk Schönrock
September 2022
Nachhaltigkeit ist und bleibt das beherrschende Thema in der aktuellen Verpackungswelt und darüber hinaus in vielen Bereichen des Lebens. Blickt man in die aktuelle Diskussion um den corona- und kriegsbedingten Umbau von Rohstoffeinkauf, Energiesicherheit, Transportwegen und Lieferketten wird auch stets deren Nachhaltigkeit als Basis aller anstehenden Entscheidungen gefordert. Und vor allem für unsere Verpackungswirtschaft trägt Nachhaltigkeit in weiten Teilen bereits religiöse Züge. Manchmal hat man den Eindruck, dass in der heutigen Werbung der eigentliche Produktinhalt, Gesundheit und Convenience nur noch eine marginale Rand spielen. Hauptsache, es wurde „nachhaltig“ produziert und/oder verpackt. Während aber die „nachhaltige“ Produktion für den Konsumenten kaum transparent und nachvollziehbar ist, fällt der Blick im Supermarktregal vor allem auf die Verpackungen. Da glaubt jeder, etwas über deren „Nachhaltigkeit“ sagen zu können.
Papier oder alles, was wie Papier aussieht, ist nun plötzlich der Verpackungsheilsbringer für alle Produkte. Die Vorteile dieses Packstoffs werden als das goldene Zeitalter moderner Produktverpackungen gepriesen. Dass nachwachsende Packstoffe jedoch auch Nachteile haben, wird grosszügig ausgeblendet. Der Irrsinn geht sogar so weit, dass Getränke in so genannte „Papierflaschen“ gefüllt werden. Die Werbung lässt den Konsumenten glauben, dass Papier auf wundersame Weise nun von alleine flüssigkeitsdicht wäre, dass Papier quasi neu erfunden wurde und von heute auf morgen plötzlich alles kann. An den Physikunterricht von früher erinnert sich niemand mehr. Ansonsten wäre klar: Papier benötigt eine Barriereschicht, um flüssigkeitsdicht zu werden. Je nach Art der Barriere ist es dann aber gegebenenfalls nicht mehr so weit her mit der Nachhaltigkeit, selbst wenn die Barriereschicht „biobasiert“ ist. Physikalisch bedingt sind für Flüssigkeiten Glas, Kunststoff und Metall sowie natürlich die herkömmlichen Getränkekartons die Packstoffe der Wahl.
Da Konsumenten mittlerweile stärker darauf achten, umweltfreundlich verpackte Produkte zu kaufen, ist „Greenwashing“ ein beliebtes Mittel der Werbebranche geworden. Verpackungen werden auf „grün“ getrimmt, auch wenn sie es in Wahrheit gar nicht sind. Manche Marken führen Konsumenten mit irreführenden Werbeaussagen gezielt hinters Licht. Ein gutes Beispiel sind Verbundverpackungen für Lebensmittel im bräunlichen Papier- oder Karton-Look. In der Regel steckt eine Kunststoff- und/oder Aluminium-Barriereschicht hinter dem echten Papier oder noch schlimmer: der Papier-Look ist bloss aufgedruckt. Schon länger bekannt sind mit Karton ummantelte Kunststoffbecher und neuerdings findet man häufiger wie bis anhin in Kunststofffolie verpackte Produkte, die noch zusätzlich in eine Kartonhülle gesteckt werden, um sie umweltfreundlicher aussehen zu lassen.
Die optische Täuschung der Konsumenten wird durch Abbildungen von Natursymbolen und den fast schon inflationären Einsatz grüner Farbe auf Verpackungen noch weiter auf die Spitze getrieben. Hinzu kommen Angaben wie „Verpackung aus recycelbaren Materialien“ oder „Zu 90 % aus nachwachsenden Rohstoffen und zu 100 % recycelbar“. Bei näherer Betrachtung entspricht dies eher selten der Wahrheit. Greenwashing ist bei Verpackungen mittlerweile allgegenwärtig. Aber nur ein kleiner Teil der Konsumenten denkt mit und durchschaut das System: Im Grunde ist der Kartonmantel nichts als unnötiger Zusatzabfall und verbraucht zusätzliche Ressourcen. So langsam wird auch der Detailhandel aufmerksamer für das Thema Greenwashing, fällt doch Kritik der Konsumenten auch auf den Handel zurück, wenn er massenhaft grün getünchte Produkte verkauft.
Was zu tun wäre, ist eigentlich klar: Die Packstofffraktionen sollten nicht mehr länger gegeneinander arbeiten. Wenn die Lobbyisten faserbasierter Verpackungen heute glauben, mit tumben Kunststoffbashing und Greenwashing die „Materialschlacht“ der Packmittel gewinnen zu können, dann irrt diese Branche gewaltig. Kunststoffe sind in vielen Verpackungsanwendungen unersetzlich, Papier, Karton, Wellkarton, Glas, Weissblech und Aluminium ebenfalls. Ein gesunder Wettbewerb der Packstofffraktionen ist wichtig für die Innovationsfähigkeit der gesamten Branche, aber Kooperationen eben auch. Wenn alle an einen Strang ziehen, dann kann das Ziel einer wirklich nachhaltigen Kreislaufwirtschaft gewiss schneller erreicht werden.
Schweizerisches Verpackungsinstitut SVI