Nachhaltigkeitsdebatte läuft vielfach in die falsche Richtung
Dirk Schönrock
Januar, 2022
In der gesamten Diskussion um Verpackungen, Materialmix, Wandstärken, Bedruckung, Etikettierung, Dimensionen oder Rezyklierbarkeit, ist Nachhaltigkeit mittlerweile zu einer Art Totschlag-Argument geworden. Wenn beim Abarbeiten des Pflichtenheftes kein grüner Haken bei der Anforderung Nachhaltigkeit gesetzt werden kann, hat eine neue Verpackungsentwicklung keine Chance, selbst wenn sie technisch um Äonen überlegen wäre. Leider kann man, selbst bei einer für die Branche noch so gut gemeinten Bestandsaufnahme, aktuell zu keinem anderen Ergebnis kommen. Beim Thema Nachhaltigkeit hat die Verpackungswirtschaft grösstenteils das Heft aus der Hand gegeben. Andere stellen die Bedingungen.
Namentlich die Kunststoffverpackungshersteller stehen teils mit dem Rücken zur Wand. So mancher CEO aus diesem Verpackungssegments muss sich im Tagesgeschäft nach aussen heute mehr um die Verteidigung der blanken Existenzberechtigung seines Packstoffs kümmern als um neue innovative Verpackungen. Zumindest in der mediengetriebenen öffentlichen Diskussion scheint die Entwicklung momentan in Richtung holzfaserbasierte Packstoffe und Glas zu laufen. Metallverpackungen geniessen zwar auch nicht den besten Ruf, aber sie werden auf hohem Niveau akzeptiert. Was fehlt, wäre eine aktuelle Studie, welche die Frage beleuchtet, ob es wirklich nennenswerte marktverschiebenden Substitutionen von Kunststoff zu Papier-/Kartonverpackungen gibt oder der Sturm nur im Wasserglas stattfindet.
Aktuelles Beispiel für eine fehllaufende Entwicklung ist die dogmatische Substitution von Verbundmaterialien zugunsten von Monomaterialien für Verpackungen. Zweifellos lassen sich Produktverpackungen, die aus nur einem Material – sogenanntem Monomaterial – bestehen, besser recyceln als Verpackungen aus mehreren Materialien. Aus diesem Grund stellen aktuell zahlreiche Hersteller ihre Verpackungen um. Doch Verbundmaterialien wurden bis anhin auch nicht bloss zum Selbstzweck eingesetzt. Sie sind meist extrem leistungsfähig für höchste Anforderungen konzipiert und in den meisten Fällen bis zur physikalischen Grenze optimiert. Sie schützen Lebensmittel optimal vor Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung und Feuchtigkeit sowie Verunreinigung von aussen und verhindern deren vorzeitigen Verderb. Diese Anforderungen zu erfüllen, ist alles andere als trivial.
Zwar ist es dem einen oder anderen Packmittelhersteller bereits gelungen, alltagstaugliche Monomaterial-Verpackungen auf den Markt zu bringen, doch verbleiben immer Abstriche bei den Eigenschaften, so dass Monomaterialien nur für wenige Produkte wirklich adäquat eingesetzt werden können. Oft muss beim Einsatz von Monomaterialien die Wandstärke der Verpackung erhöht werden, wodurch mehr Material zum Einsatz kommt, das Gewicht ansteigt, die Verarbeitbarkeit auf Maschinen erschwert und die Produkthaltbarkeit vermindert wird. Bei einer Ökobilanzanalyse schneiden daher hochoptimierte Verbundmaterialien meist deutlich besser ab.
Trotz oft negativer Ökobilanz gelten Monomaterial-Verpackungen als Königsweg zur Erfüllung der Recyclingquoten, die seitens der Gesetzgeber überall in Europa – völlig willkürlich und ohne die Folgen zu bedenken – vor allem in den letzten Jahren massiv erhöht wurden. So wird zwar mehr Verpackungsmaterial rezykliert, aber gleichzeitig verdirbt ein höherer Anteil des Füllguts. Wenn man berücksichtigt, dass generell bei Lebensmitteln nur rund 2 Prozent des ökologischen Fussabdrucks auf die Verpackung entfallen, lässt sich leicht ausrechnen, was mehr Sinn macht. Es gibt zahllose weitere solche Beispiele, die einfach aufzeigen, dass die heutige Nachhaltigkeitsdebatte vielfach in die falsche Richtung führt.
Alle Mitglieder des Schweizerischen Verpackungsinstituts sind dazu aufgerufen, sich direkt oder über das SVI in die Nachhaltigkeitsdebatte einzumischen. Das SVI wird das Thema Nachhaltigkeit von Zeit zu Zeit aufgreifen und sich Gehör auch über die Branche hinaus verschaffen. Wir – die Schweizerische Verpackungswirtschaft – sind die Experten für Verpackungen und nicht die Füllgutentwickler oder Marketingkampagnenleiter der abpackenden Wirtschaft. Es ist an der Zeit, dass sich die Verpackungswirtschaft stärker in die Nachhaltigkeitsdebatte einbringt, klare Positionen vertritt und bestimmte, fehllaufende Entwicklungen unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit auch tatsächlich als Unsinn entlarvt.
Schweizerisches Verpackungsinstitut