Case Study Details

  • Home
  • UNVERPACKT BLEIBT UNVERKAUFT

Unverpackt bleibt unverkauft

Dirk Schönrock
November 2022

UNVERPACKT BLEIBT UNVERKAUFT

Unverpacktläden starteten mit einem Boom und fielen seit Corona in eine tiefe Krise. Hygieneerwägungen, Inflation, Energiekosten und Kleinmengenaufwand bringen das Konzept jetzt an seine Überlebensgrenze. Das Konsumentenverhalten hat sich in den jüngsten Krisen verändert. Es zeigt: Nichts schützt Lebensmittel besser als eine gute Verpackung.

Seit der Erfindung so genannter „Unverpacktläden“ vor rund zehn Jahren hat sich dieses Detailhandelskonzept vor allen in den Grossstädten der deutschsprachigen Ländern ausgebreitet, aber nie richtig etabliert. Dünne, einseitige und langweilige Sortimente, unsichere Verfügbarkeit bestimmter Produkte, ungeeignete selbst mitgebrachte Behälter, hoher Zeitaufwand und überzogene Preise sowie Hygieneprobleme aller Orten waren von Anfang an problematisch. Da und dort schien die Unverpackt-Idee dennoch einen gewissen Hype auszulösen und auch auf dem Land entstanden einige Läden. Nun hat der Wind gedreht, respektive der Markt: „Seit letztem Sommer sind die Umsätze regelrecht eingebrochen, zeitweise um bis zu 50 Prozent. Die meisten hätten seit 2021 einen Umsatzeinbruch von 30 bis 40 Prozent erlitten“, schreibt „Der Schweizerische Beobachter“ in seiner Ausgabe vom 13. Oktober. Die Lädeli seien oft „nur noch ein teures Hobby“.

Der erste Unverpacktladen in der Schweiz eröffnete 2017 in Bern. Einige verschwanden recht schnell wieder, wie beispielsweise jener in Luzern an der Zürichstrasse. Der grossflächige Niedergang der Unverpacktläden begann mit der Corona-Krise. Viele Konsumenten haben während dieser Zeit ihre Einkäufe auf den Besuch nur eines Detailhändlers reduziert. Profitiert haben Läden mit umfassenden Sortimenten unter einem Dach. Der Gang zum separaten Unverpacktladen, oft noch weit entfernt, fiel auch der politisch befohlenen Kontaktreduzierung zum Opfer. Während die Zahl der Kunden und damit die Umsätze sanken, stiegen aber die Aufwände. Die Gerätschaften für die unverpackte Ware erforderten einen unverhältnismässig hohen Desinfektionsaufwand und Desinfektionsmittel wurden zu einer spürbaren Kostenposition. Generell bewirkte der in der Corona-Krise hoch gewichtete Hygieneaspekt eine breite Abwendung von unverpackter Ware. Kurz gesagt: Die Corona-Krise hat den Konsumenten deutlich gezeigt, wie wichtig und unverzichtbar gute Verpackungen sind. Viele Unverpacktläden gerieten schnell in eine wirtschaftliche Schieflage, doch die Corona-Hilfsmilliarden des Staates haben alle Zweige des Detailhandels „gerettet“. Auch solche, die – wie die Unverpacktläden – ein absehbar nicht mehr tragfähiges Geschäftsmodell verfolgen. Manche Läden versuchten mit Convenience-Food zu überleben und haben vorgekochte, unverpackte Lebensmittel aus der Tiefkühltruhe angeboten. Dem setzte die Zürcher Lebensmittelkontrolle ein jähes Ende, denn tiefgefrorene Lebensmittel müssten laut eidgenössischer Lebensmittel-Verordnung vorverpackt sein.

Auch nach dem (zumindest vorläufigen) Ende der Corona-Krise blieben die Konsumenten vorsichtig. Das gestiegene Hygienebewusstsein verhinderte eine schnelle Rückkehr der Käufer in die Unverpacktläden. Seit Ende Februar versetzen die volkswirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine bestimmten Bereichen des Detailhandels erneut einen schweren Schlag. Betroffen sind vor allem auf die wohlhabende Mittelschicht abzielende Läden im höherpreisigen Segment – wie die Unverpacktläden. Inflation und Energiekosten machen kleinen inhabergeführten Läden generell das Überleben schwer. Um selbst Kosten zu sparen, haben dann viele Zulieferer die Mindestbestellmengen nach oben gesetzt. Das trifft die Unverpacktläden besonders hart. Weil sie nicht vakuumverpackt gelagert und in den Sortimenten präsentiert wird, muss unverpackte Ware oft in kleinen Mengen nachbestellt werden, um die Frische zu gewährleisten. Vom Transportaufwand her gesehen, war das schon vor Corona ein CO2-Desaster. Aber nun ist der Einkauf von Waren in Kleinstmengen nochmals deutlich teurer geworden. Vielerorts berichten Unverpacktläden über zu hohe Kosten und zu geringe Umsätze, betriebswirtschaftlich das Ende.

Für die Schweiz kommuniziert der im Mai 2021 gegründete Verein Unverpackt Schweiz mit Sitz in Zürich bis anhin fünf Schliessungen im Jahr 2022. Rund 60 Unverpacktläden soll es schweizweit derzeit geben. Für Deutschland meldete der Verband der Unverpacktläden im laufenden Jahr bis Mitte September 41 Betriebsschliessungen (von insgesamt deutschlandweit 322 Unverpacktläden), also weit mehr als jeder zehnte Laden und damit ein höherer Anteil als in der Schweiz. Aber auch wenn die Inflationsrate hierzulande geringer ist, dürften die Probleme im Wareneinkauf und bei den Energiekosten vergleichbar sein und sich weiter verschärfen. Nach der üblichen Sommerflaute sind die Umsätze der Unverpacktläden in diesem Jahr im September nicht wie gewohnt wieder gestiegen, sondern noch weiter gefallen. „Vor allem in den Regionen Basel, Zürich und Chur kämpfen die Läden derzeit ums Überleben“, sagt Natalie Jacot, Vereinspräsidentin von Unverpackt Schweiz mit Sitz in Zürich. Eine Umfrage hat ergeben, dass die Kunden nach wie vor beim Kaufverhalten ihren Gewohnheiten aus der Corona-Krise folgen und alles unter einem Dach beim Grossverteiler einkaufen. Eine wie in Deutschland steigende Insolvenzquote der Unverpacktläden in der Schweiz scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

Bei Unverpackt Schweiz glaubt man trotz der Schwierigkeiten weiter an die Idee und bietet gemäss Website selbst heute im Niedergang noch Hand für Neugründungen. In Deutschland scheint der Unverpackt-Verband schon eher auf dem Boden der Tatsachen angekommen zu sein: "Unabhängig von der derzeitigen Situation sind wir davon überzeugt, dass das Konzept Unverpackt funktioniert, langfristig nachhaltig und zukunftsweisend ist", schreibt ein Pressesprecher und "wir versuchen uns gerade gegenseitig in der Branche Mut zu machen", wird eine Ladeninhaberin zitiert. Das klingt eher nüchtern und wenig überzeugend. Statt weiterhin mit einem gegen den Markt gerichteten Konzept zu geschäften, sollten die Unverpackt-Verbände die Realität des nachhaltig veränderten Konsumentenverhaltens wahrnehmen: Nichts schützt Lebensmittel besser als eine gute Verpackung.

X